Gruppentherapie:
Entgegen einer oft gehörten Meinung ist Gruppenpsychotherapie eine sehr effektive Behandlung und kein Ersatz für eine Einzeltherapie. Die Therapie in einer Gruppe ist nicht „weniger“ als eine Einzeltherapie, sie ist etwas prinzipiell anderes. Die Gruppe als solche hat eine Reihe von Wirkungen, die über die Möglichkeit einer Einzeltherapie hinausgehen. Hierbei erfahren sich die Gruppenteilnehmer innerhalb der Gruppe mit ihren inneren und zwischenmenschlichen Konflikten im Laufe des Gruppenprozesses. Symptome werden von einer zunehmenden Fähigkeit abgelöst, Konflikte zu spüren, zu erkennen, auszusprechen und auch zu lösen. Unbewusste Beziehungs- und Verhaltensmuster werden bewusster und dadurch veränderbar.
Die Gruppe ist der Therapeut. Eigentlich wissen wir alle aus Erfahrung, dass eine Gruppe Dinge zustande bringen kann, zu denen ein Einzelner nicht in der Lage ist. Eine Gruppe ist mehr als die Summe der Mitglieder. Jede Gruppe hat ihre Besonderheiten und wird durch die einzelnen Mitglieder, also auch durch Sie, geprägt. Jeder bringt seine Fähigkeiten und Schwierigkeiten ein. Dies tun wir zu einem wesentlichen Teil unbewusst.
Was ist analytische Gruppenpsychotherapie?
In der Anfangsphase, wo es in erster Linie um die Festigung Ihres Selbstwertgefühls geht, besteht in der analytischen Langzeitgruppe für Sie die Möglichkeit zu erleben, wie Sie auf andere wirken und wie Sie auf das Verhalten anderer reagieren. Dieser Bewusstwerdungsprozess ist von herausragender Bedeutung und elementar für das Therapieziel. Es geht um die vertiefte Bearbeitung von noch offenen Themen und Konflikten. Für dieses Anliegen sollten Sie alle Gefühle, die positiven wie die negativen, nach und nach zum Ausdruck bringen, auch dem Therapeuten gegenüber. Im Alltag wird dieser offene Gefühlsausdruck meistens umgangen. Gerade in unangenehmen Situationen möchte man sich lieber „bedeckt halten“ und „eine gute Figur machen“, um vor Angriffen des Gegenübers geschützt zu sein und die Umwelt zu schonen, damit die Situation „nicht aus dem Ruder läuft“.
Öffnung der eigenen Gefühlslage vs. Schutz vor Verletzungen
Sie sollten alle Gefühle, die positiven wie die negativen, nach und nach zum Ausdruck bringen, auch dem Therapeuten gegenüber. Alles ist erlaubt, alles, was Ihnen einfällt – Gedanken, Gefühle Erinnerungen, Träume etc. – sollte ausgesprochen werden (psychoanalytische Grundregel). Jeder kann sich einbringen, ohne Angst haben zu müssen, bewertet oder gar verurteilt zu werden. Dies ist durch den geschützten Raum der Gruppe gewährleistet. In dem geschützten Raum der Gruppe lernen Sie, sich für die Mitteilungen der anderen zu öffnen sowie auch Ihre eigenen Impulse deutlicher zu spüren. Darüber hinaus geht es darum, diese ausdrücken zu lernen, statt wie sonst im Alltag nur darauf zu achten, gut anzukommen und anerkannt zu werden. So haben Sie in der Gruppe die Möglichkeit, ein breiteres Gefühls- und Bedürfnisspektrum Ihrer Persönlichkeit kennen zu lernen und in die Kommunikation mit anderen einzubringen. Wenn Gefühle, die Sie Ihren Mitpatienten gegenüber erleben, direkt ausgedrückt werden, ist das meistens sehr entlastend und von daher befreiend, kann vorübergehend aber auch belastend sein. Es ist ungewohnt und Angst machend, die eigenen „Komfort-Zonen“ zu verlassen, in denen man sich sicher, aber nicht lebendig fühlt, und etwas bislang eher Gemiedenes auszuprobieren. Doch genau dies ermöglicht Ihnen neue Erfahrungen. Die Gruppe bietet den geschützten Rahmen, den Weg dahin, möglichst viel von Ihren Wahrnehmungen, Gedanken und Gefühlen zum Ausdruck zu bringen und gemeinsam zu untersuchen, wie die Zusammenhänge wirklich sind.
Der Faktor Zeit
Viele Menschen sind sich über ihre Gefühle nicht im Klaren, weil sie überdeckt sind von Meinungen, Konzepten und Erklärungsmustern. In der Gruppe kann der Mut und das Vertrauen geschöpft werden, mit dem man „tiefer“ fühlen kann. Die richtige Zuversicht zu entwickeln und dafür auch einmal ein Risiko einzugehen, braucht jedoch längere Zeit. Im Laufe des Gruppenprozesses werden Sie sich trauen, auch einmal Schwächen zu zeigen und neue Verhaltensweisen zu versuchen. Manche Patienten sprechen in den Sitzungen viel, andere wenig. Dabei steht die Häufigkeit des Sprechens nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang zu den Fortschritten, die jemand macht. Letztlich findet jeder seinen individuellen Weg und durchläuft seinen eigenen Prozess, um in einer für ihn selbst stimmigen Weise mit sich und anderen in Kontakt zu treten und weiter an sich zu arbeiten.
Hindernisse
Insgesamt ist der Therapieprozess ein Weg mit Hürden. Immer wieder hat man das Gefühl, auf der Stelle zu treten, ist verwirrt, leidet unter widersprüchlichen Gefühlen und ist enttäuscht und verärgert, mitunter auch gegenüber dem Therapeuten. Ebenso ist gemeinsames Lachen und Freude miteinander Teil des Gruppenprozesses. Ein häufiger Wunsch ist eine Gruppensitzung, die, bildlich gesprochen, wie ein Spaziergang im Sonnenschein erlebt wird. Manchmal ist jedoch gerade nicht von einer von vorneherein bestehenden Übereinstimmung auszugehen. Vielmehr ist es dann wie ein Sich-Kämpfen durch den Sturm mit Gegenwind. Folglich gibt es Phasen, in denen Sie vielleicht aufgebracht sind, am liebsten der Sitzung fernbleiben würden oder die Gruppe ganz verlassen möchten. Doch was in solchen Stimmungslagen wirklich in Ihnen vorgeht, lässt sich oft erst im Nachhinein erkennen und einschätzen, nachdem Sie in der Gruppe ausgiebig darüber gesprochen haben und die Gruppe Ihnen ihre Eindrücke dazu mitgeteilt hat. Hier wird deutlich, dass es keine Umwege, sondern nur Wege gibt, die mit denen der anderen eng verwoben sind – Ihren Mitpatienten geht es häufig genauso!
Neuauflage alter Schwierigkeiten und Probleme
Es ist sehr bedeutsam, sich zu vergegenwärtigen, dass sich alte Probleme und Schwierigkeiten, die dazu führten, dass Sie sich zur Teilnahme an der Gruppe entschlossen haben, nach und nach über viele Jahre hinweg aufgebaut haben. Von daher sollte als erstes gewürdigt werden, dass Ihnen Ihre Blockaden, ihre selbst gestellten „Fallen“ ursprünglich geholfen haben, relativ unbeschadet durch Ihr bisheriges Leben zu kommen. Dass und wie diese Verhaltensweisen Ihre jetzige Lebenszufriedenheit und Entwicklungsmöglichkeiten behindern, wird in der Gruppe nach und nach betrachtet und verstanden werden. Dabei geht es mehr um behutsames und geduldiges Verstehen als um schnelle Lösungen. Seelischen Druck rasch durcharbeiten und ablegen zu wollen, erweist sich meistens als Bumerang. Das Leid jedes Einzelnen braucht in der Gruppe Zeit und Raum, es will in ganz verschiedener Hinsicht immer wieder neu gesehen und gehört werden. Tipps und Empfehlungen bringen dabei wenig bis nichts, wichtig ist das gemeinsame Verstehen, aus dem nach und nach ein stabiles Gewebe entsteht, das trägt und hält.
Für das Verständnis hilfreiche Symbole
Es ist mit psychischen Beschwerden wie mit großen Löchern, die zum Abbau von Kies für den Straßenbau von Baggern in eine Landschaft gegraben wurden. Vorübergehend ist alles verunstaltet, doch nach und nach erholt sich mithilfe der wachsenden Natur die Landschaft und aus den groben Löchern werden schöne, in Naherholungslandschaften eingebettete Badeseen. Der Straßenbau ist vergleichbar mit dem Druck im Hinblick auf Funktionieren im Leben. Die zerstörte Landschaft ist der Preis, den die Seele dafür bezahlt. Die Regenerierung der Natur und die Bemühungen, mit denen ihr Wachsen unterstützt wird, stehen symbolisch für die therapeutische Gruppenarbeit. Die bisherigen Ausführungen können nur andeutungsweise aufzeigen, was an Fragen auf Ihrem Weg durch den Gruppenprozess auftaucht. Ihre Fragen sollten Sie an die Gruppe oder den Gruppenleiter, die Gruppenleiterin stellen. ( Auszug aus „Praxis Gruppenanalyse“ Brigitte Alt)
Literatur:
Volker Tschuschke, T. Anbeh: Ambulante Gruppentherapie, Dankwart Mattke, Luise Reddemann und Bernhard Strauß: Keine Angst vor GruppenIrvin D. Yalom: Schopenhauer-Kur